Aus der Mitte entspringt ...

Literarisches & Kulinarisches von Anglern für Angler

Moderator: Thomas Kalweit

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Chinook
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Aus der Mitte entspringt ...

Beitrag von Chinook » 28 Sep 2006 00:32

Aufmerksamen Lesern ist kaum entgangen, dass ich nicht nur ein Purist in Sachen Fliegenwahl bin. Auch was die Besuche meiner Hausgewässer angeht ist in Sachen Ausstattung Einfachheit angesagt. So auch diesen herrlichen Spätsommertagen. Kleine Fliegendose, Einhandmesser, Vorfachetui, Nesselbeutel und natürlich Rute und Rolle. Die Kleidung eher Campingplatzstil, sprich, kurze Hose mit Beintaschen, kurzärmliges Hemdchen, Turnschuhe und Sonnenkappe also der klassische Kleine Grillanzug. Ach ja, die Sonnenkappe, die ist allerdings für Insider schon als echter Anglerzuschnitt erkennbar; langer Schirm, innen schwarz mit anklettbaren Nackenschutz, eher was für die Flats in Florida oder Requisite für ein Homevideo über Fremdenlegionäre in Castrop-Rauxel. Momentan sind die Wasserstände in meinem Abschnitt optimal. Die zahlreichen Kiesbänke und Rieselstrecken ermöglichen meist eine gute Wurfpositionierung und das, sowieso nicht sonderlich geliebte, Waten erübrigt sich. Wäre da nicht Murphey's Gesetz des Fliegenfischens, welches besagt, dass der Fisch deines Lebens immer einen Meter weiter steht als die mögliche Wurfweite des Fischers. Mein Fisch des Lebens, zumindest auf dieses Gewässer bezogen, steht korrekterweise unter einem tief hängenden Ast und das in einer Entfernung, welche die saubere Platzierung der Fliege unmöglich macht. Also doch waten. Wie war das nochmal im Film "Aus der Mitte entspringt ein Fluß"? Ja, genau, da wo der brad'sche Pitt voll in die Wellen steigt? Also raus aus den Schuhen und barfuß in die Fluten, ja, da ist es, das unmittelbare Gefühl. Langsam tasten sich die Zehen durch das doch etwas sehr kühle Nass. Schon ein wenig glitschig aber es geht irgendwie, Schritt für Schritt. Hätte ich mir gar nicht mehr zugetraut. Etwas langsamer als 'behuft' erreiche ich die mutmaßlich optimale Position und: "Flieg' Fliege flieg!"
Die Würfe sind sauber und präzise gesetzt nur scheint mein Traumfisch die Sache ganz anders zu sehen und würdigt meinem Zauber keines Blickes. Erstaunlicherweise scheinen sich meine Füsse an die Kälte gewöhnt zu haben. Es läßt sich aushalten. Ein paar weitere, mittlerweile etwas verzweifelte, Würfe folgen. Man sagt, dass nach fünfzehn Minuten im kalten Wasser liegen der Tod eintritt oder so. Nach zwanzig Minuten beschließe ich daher einer beidseitigen Fußamputation zu entgehen und versuche den Rückweg anzutreten. Würde ich meine Füße nicht mehr spüren, wäre ich auf der sicheren Seite. Reinhold Messner hat mit diesem Gefühl bzw. Nicht-Gefühl alle Achttausender bezwungen. Ich scheitere schon beim Versuch mich in Richtung Ufer zu drehen und mich durchfährt ein Schmerz der Zahnarztbesuche als angenehme Alternative erscheinen läßt. Millimeter für Millimeter schiebe ich mich Richtung Ufer und ich versuche, so habe ich es damals im Schwangerschaftskurs gelernt, den Schmerz wegzuatmen. Ich muss wohl dermaßen mitleidweckend ausgesehen haben, dass Wanderer mit rheinischer Höflichkeit fragten: "Iset Ihnen joot. Brauchense Hillfe?" "Nein!", konnte ich nur hauchen, wie jemand der eine heisse Kartoffel im Mund hat, "Nein, es geht schon!"
Noch vor Einbruch des kalendarischen Herbstes habe ich es dann geschaft und weiss, dass Herr Pitt wohl eine Neoprendouble gehabt haben muss, auf Koks war oder Holzbeine hatte.

[ 27. September 2006: Beitrag editiert von: Chinook ]

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Flo86
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Aus der Mitte entspringt ...

Beitrag von Flo86 » 28 Sep 2006 01:36

Klasse!! [img]images/smiles/icon_biggrin.gif[/img] [img]images/smiles/icon_biggrin.gif[/img]
"In einer Million Jahren, ja schon in tausend wird der Mensch wieder Kohlenstoff sein", [...] "Weil er dumm ist. Und auch Gentechnik wird ihm nicht helfen."
-Steve Jones-

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Aus der Mitte entspringt ...

Beitrag von Hartmut » 28 Sep 2006 10:18

<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat
so habe ich es damals im Schwangerschaftskurs gelernt, den Schmerz wegzuatmen.
Und - ist das Bäuchle inzwischen wieder wech [img]images/smiles/icon_biggrin.gif[/img]

Götter kennen keinen Schmerz, nicht einmal Filmgötter. Doch wir sterblichen Fischer verfallen trotzdem dieser Leidenschaft, die Leiden schafft.
Nur so fühlen wir uns hinterher am warmen Ofen glücklich. [img]images/smiles/icon_wink.gif[/img]

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Beitrag von Thomas Kalweit » 28 Sep 2006 19:56

Gewohnt spitzenmäßig! [img]images/smiles/icon_biggrin.gif[/img]
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