Aus meinem irischen Tagebuch (1)

Literarisches & Kulinarisches von Anglern für Angler

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Chinook
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Aus meinem irischen Tagebuch (1)

Beitrag von Chinook » 12 Jan 2006 19:06

Nichts ging am River Laune. Bisher nicht. Aber, wie heisst es so schön: die Hoffnung stirbt zu letzt. Da standen wir drei, Tochter, Ehefrau und ich, schön verteilt am Ufer, wünschten einen Anbiss ins Wasser und wären schon zufrieden gewesen, wenn diese, angeblich, sagenhaften Browntrouts aus purer Langeweile die Fliege genommen hätten. "Zu heiss!", dachten wir vermutlich gleichzeitig und unabhängig von einander.

"Wer hatte eigentlich diese blöde Idee eine Fahrrad-Angel-Urlaub-Kombi in Irland zu machen?", lag als weiterer Gedanke auf der Hand. Radfahren und Angeln in Irland. Geht das überhaupt? Solche Gedanke kommen immer dann, wenn man weiss, dass eine Gangwahl an der Kettenschaltung ohnehin keine wirkliche Wahl ist, da man über den ersten also den stärksten Gang gar nicht hinaus kommt. So kam es mir jedenfalls vor. Mein Irlandbild aus radfahrender Sicht ist schnell erklärt: Steiler Aufstieg oder Gegenwind oder steiler Aufstieg und Gegenwind oder steile Abfahrt und starker Gegenwind. Andere Fälle sind bzw. waren mir nicht untergekommen. Dennoch hatten wir 1990 einen Bombensommer in Irland. Nein, keine Ironie. Selbst die Iren glaubten, dass ihre Insel, einem Boot gleich, Richtung Äquator gedriftet war. Wind und Steigungen kümmerte das allerdings wenig.
Unsere Ausrüstung für uns und unsere drei Räder war top. Papamobil, natürlich Mountenbike, 21 Gang, Mama- und Tochtermobil natürlich jeweils Damenreiserad, 6 Gang, alle mit Lenker- und Packtaschen sowie 2 mal 2 Lowrider ausgestattet. Die Lenkertaschen waren das einzig private. Dort wurden Butterbrote, Papiere, Brillen, Tabletten, Taschentücher, Schokoriegel, Kleinbildkamera, Fernglas, Wegekarten, Handys usw. verstaut (Handys? Reingelegt, die gab's ja noch gar nicht!).
Die Packtaschen, im einzelnen benannt, waren Lebensmitteltasche, Zelttasche, Bekleidungstasche (3x), Küchenausrüstungstasche, Schuhetasche, Alles-ausser-Ruten-Angeltasche (inkl. Reise-Bindeausrüstung), Werkzeuge- und Ersatzteiletasche und die Was-man-sonst-noch-so-braucht-Tasche (Erste Hilfe, Souvenirs, Brennstoff, fest und flüssig). Die Schlafsäcke waren auf die Gepäckträger montiert, unsere Fliegenruten in Mount-Everest-tauglichen Rohren seitlich am Rad festgezurrt. Reduced to the max! Start und Ziel unserer fünf-wöchigen Rund-Tour war Tralee, ein verschlafenes Städtchen mit Mini-Airport im County Kerry, Westküste. Auf dem Kurs lag, u.a. der berühmte Ring of Kerry, was bedeutet (für den Fall einer Reise gegen den Uhrzeigersinn) rechts von dir der Atlantik, links von dir noble Lachsflüsse und Seen, das alles eingerahmt durch eine Landschaft, dessen Bau beim lieben Gott wohl zur Chefsache gemacht wurde.

Es muss so mit Beginn der zweiten Woche gewesen sein als der Laune uns diese vermiesen wollte (an dieser Stelle bitte eine Gedenkminute an Heinz Erhard). Es war immer noch unglaublich heiss und wir hatten uns, um auf unseren Böcken nicht zu verbrennen, wie Beduinen eingewickelt. Hier, am Wasser, war es nicht anders. Zwar stand die Sonne nicht mehr ganz so hoch, hatte aber noch Kraft genug einen Faktor 12 (Piz Buin) in die Knie zu zwingen. "Salem aleikum", wurden wir von einem Wanderer gegrüsst und es muss wohl für so manchen Zuschauer etwas "strange" ausgesehen haben. Wir hatten unsere Palästinenser-Tücher geschickt um den Kopf gewickelt, so dass nur noch die Augen zu sehen waren; vielleicht ein Grund warum nichts gehen wollte. Es war aber auch nichts, absolut nichts, was auf Leben in diesem besten aller Flüsse hindeutete und ich erinnerte mich an Heinrich Bölls Beschreibung der irischen Seele, die wohl leicht zur Übertreibung neigt. So wurde berichtet, dass, wenn du im Norden einen kleinen Fisch fängst und in den Süden reist, man sich dort schon Geschichten über dich erzählt: "Da ist der Mann, der nur einen Haken über einen Eimer halten muss und schon hängt ein Fisch dran!"

Irgendwann, wenn du lange am Wasser bist kommt der letzte Wurf oder besser, der Gedanke daran. Der Handel läuft in der Regel so: "Mir reicht's. Nur noch einen Wurf. Dann ab nach Hause." Die Schnur fliegt. "Hm, 'n richtiger Wurf war das ja nicht. Nur noch einen Wurf.." Die Schnur fliegt. "Nee, das war ja wohl keiner, der eines letzten würdig ist." Die Schnur fliegt ...
Jedenfalls kurz vor dem letzten Wurf wurde ich einer Unregelmäßigkeit in der gleichförmigen Wellenbewegung gewahr. Eine aufsteigende Blase aus torfigen Grund? Eigentlich, nach allen Regeln der Kunst, konnte doch an dieser Stelle kein Fisch stehen. Wo treibt da Futter rein? Und der Insektenflug war vernachlässigbar für die Lagebeurteilung. Anvisiert, Wurf, Bullseye. Die Coachman auf dem 16er Haken treibt träge. Und tatsächlich, wie ein U-Boot schwebt ein langes dunkles etwas vom Grund in Richtung Oberfläche. Ich konnte das kritische Auge regelrecht spüren. Verweigerung. Abtauchen. Sch...! Na gut, schnell eine Hexe angebunden, Hexe geht immer und erleuchtet die Herzen in trüben Wassern. Wurf und die Rolle macht Dschrrrrr. Anbiss plus völligem Sprachverlust. Die Browntrout flüchtet ein wenig von mir weg, überlegt es sich anders, kommt ein Stück zurück, legt sich auf den Grund. Alles ganz lazy. Ich ziehe die Schnur leicht an, will herausfinden ob Coolboy (oder Girl) noch dran ist. Alles klar, noch nicht ausgestiegen und liegt auf Grund. Ein weiters mal leichter Anzug. Sie zieht zurück. Ich ziehe. Sie zieht zurück. Langsam hole ich ein und erwarte eine weitere Flucht. Mein Gott, was für eine Kraft, was pumpe ich da hoch? Die Antwort kam schneller als mir lieb war, einen modrigen Ast. Dieses Erlebnis lässt mir aus folgendem Grund bis heute keine Ruhe: wie konnte sich die Forelle unbemerkt abhaken? Die einzige, für mich gültige, Erklärung ist, sie hat sich den Haken aus dem Maul genommen und mit ihrem Flösschen den Haken vorsichtig in den Ast gestochen. Nein, meine lieben Leser ich widerrufe nicht!

Da war doch noch was? Ach ja! Meine Lieben brachten (ohne Bohei) jeweils eine, mindestens 1 Fuß lange Browntrout mit zurück ins Dorf, wurden im Eilverfahren zu Nationalheldinnen erklärt, mussten eine angetragene Einbürgerung ablehnen aber nicht das, damit im Zusammenhang stehende Guinness.


Nachtrag:
Was hat Nationalheldentum mit Forellenfang zu tun: obige Forellen können von keinem Engländer mehr gefangen werden. Klaro, isn't it? It is!

Werner B.
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Aus meinem irischen Tagebuch (1)

Beitrag von Werner B. » 12 Jan 2006 23:34

Nun denn,
das klingt gut in mehrfacher Hinsicht. ich bin gespannt auf die Fortsetzung.
Gruß Werner
Die Lage ist ziemlich unkomfortabel

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Rolf Renell
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Aus meinem irischen Tagebuch (1)

Beitrag von Rolf Renell » 13 Jan 2006 11:30

Hi Chinook,
erfrischend zu lesen ,Geschichten aus der 2.Heimat,sehr nett und nachvollziehbar,
beste Grüsse,Rolf

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