Nie mehr ohne Pfeiffe

Literarisches & Kulinarisches von Anglern für Angler

Moderator: Thomas Kalweit

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Chinook
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Nie mehr ohne Pfeiffe

Beitrag von Chinook » 01 Jan 2006 23:33

Ende des letzten Jahrtausends verbrachten wir (Gattin, Tochter und deren Freund) unseren Urlaub in Südtirol, genauer gesagt im schönen Fassa-Tal. An jenem ereignisreichen Tag war es heiß und nur meine Ungeduld gab Anlass fischen zu gehen statt, wie es das Begehren der anderen war, im Schatten zu dösen. Zu lange habe ich in diesem Urlaub schon warten müssen meine neue Einser-Rute ihrem Daseinszweck zu überantworten. Der Leichtigkeit dieses Werkzeuges entsprechend, Rute, Rolle und Schnur kamen gerade mal über 6 Unzen, war auch ich leicht gekleidet. T-Shirt, kurze Hose, Neoprensocken, Watschuhe und nicht zu vergessen, mein Filzhut: zusammen also 87172 Gramm.
Bis zum Einstieg in eine Art Klamm gingen wir gemeinsam flussab. Ab dort trennten sich unsere Wege, in gewisser Weise. Während ich, dem Flusslauf folgend immer tiefer Abstieg bewegten sich meine Lieben parallel zu mir, blieben aber aus ihrer Sicht immer auf gleicher Höhe. Wir entfernten uns also in vertikaler Richtung von einander. Anfangs hörte ich ihre Stimmen und sah ihre Schatten an der Felswand gegenüber. Ihre Laute wurden mehr und mehr vom dröhnenden Wasser geschluckt und schon bald waren nur noch die Schatten zusehen. Ich erreichte schon bald meinen Geheimtipp, musste nur noch etwas alpin einen Felsen runterrutschen und stand an fassa-tals schönstem Pool. Meine Familie glich ihren Weg ab und an mit meinem durch Hinunterschauen ab, stellte fest, dass ich angekommen war und baute wohl an einem schattigen Plätzchen ihr Leselager auf. Nun waren auch ihre Schatten nicht mehr zu sehen. Galaktisch gesehen waren die drei Schulter an Schulter mit mir, körperlich knappe vier Meter von mir weg. Der Pool war fantastisch und meine Nummer 1 eine Präzisionswaffe. Ihre ganze Erscheinung strahlte eine Leichtigkeit aus, dass ich versucht war zu glauben die verdrängte Luft sei schwerer als das Gerät und die Trockene wird nur durch die Kraft meines Wollens geführt.
Anwerfen, fangen, zurücksetzen. Und dann die Hitze. An einem bestimmten Punkt waren wir, die Forellen und ich, des Spiels müde. Ein paar Minütchen unter schattigen Bäumen, verführerisch. Also zurück zum Einstieg und sich zu den anderen auf die Decke fletzen. Nur noch ein kleines Hindernis: der Felsen, den ich runtergerutscht bin. In den meisten Fällen ist das Leben nicht symmetrisch, sprich den Felsen runterrutschen ist eines, auf ihm wieder hochkommen ein anderes. Eine helfende Hand in dieser Situation wäre ein Segen. Also, nach den Lieben rufen. Leider war die Fassa lauter und mein Rufen verhallte, wie ein Schrei im Wind (schneider'sche Metapher). O.K. es bestand zu keinem Zeitpunkt Lebensgefahr aber verloren kam ich mir schon vor. Die Aussicht, dass die Lieben einer Intuition folgend ihre Bücher aus der Hand legen und mal über den Hang schauen, war verschwindend gering. Die Aussicht ca. 3 km flussab zu laufen um den nächsten Ort zu erreichen erst mal nicht in der Betrachtung. Sie sind doch nur einen zehntel Steinwurf entfernt ... genau, Steinwurf. Ich nahm einen Kiesel, klein genug um beim Blindwurf keinen zu verletzten und versuchte diesen über den Überhang zu werfen. Kam nicht rüber. Dann warf ich Steine einfach so in die Luft in der Hoffnung bemerkt zu werden. Keine Reaktion. Klar! So wirds gehen. Der beste Werfer zwischen Dormagen und Wesseling macht einfach einen geschickten Bogenwurf nach oben und präsentiert eine Trockene auf irgend eine Buchseite. Wer spendiert mir einen Wurfkurs? Absurd, hier viel mir die Geschichte von einem Freund ein, der sich in der französischen Jura fliegenfischenderweise Verlaufen hatte, nach zwei Tagen, z w e i Tagen (!) in seiner Ferienunterkunft eintraf und feststellen musste, dass seine lankonische Frau noch nicht mal einen Suchdienst beauftragt hatte. Oder die Geschichte von einem anderen Freund, der nicht mehr aus einem Klohäuschen an einem schwedischen Fluss rauskam, seine Kumpels ihn überall suchten nur nicht im Klohäuschen. Oder die Geschichte ...
Bevor noch düstere Gedanken aufkamen und die ganze Familie fluchenderweise der Verdammnis überantwortet werden konnte erschien das Gesicht eines möglichen Schwiegersohns. Bella familia!

Was lernen wir aus der Geschichte? Wie immer nichts!
Oder doch: Nie mehr ohne Trillerpfeiffe

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Uwe Pinnau
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Nie mehr ohne Pfeiffe

Beitrag von Uwe Pinnau » 02 Jan 2006 05:18

Bravo, preisverdächtige, großartige Angelliteratur !
www.deutscherhechtangler-club.de
"Never argue with an idiot. They drag you down to their level and beat you with experience"



[img]http://www.deutscherhechtangler-club.de/Bilder-Rodd/nov6.jpg[/img]

Werner B.
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Nie mehr ohne Pfeiffe

Beitrag von Werner B. » 03 Jan 2006 18:49

Hallo,
<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat
In den meisten Fällen ist das Leben nicht symmetrisch,
wie wahr. Erinnert mich das doch an ein dunkles Kapitel meiner "Fliegenfischerkarriere", als ein gewaltiger Stier mich partout nicht mehr aus der Kyll rauslassen wollte, sondern im Gegenteil Anstalten macht, sich mit Anlauf zu mir zu gesellen.
Gruß Werner
Die Lage ist ziemlich unkomfortabel

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Hartmut
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Nie mehr ohne Pfeiffe

Beitrag von Hartmut » 04 Jan 2006 19:19

Auch noch ein erfolgreiches Neues Chinook.

Bei den Pavlow'schen Hunden hat die Konditionierung auf die Glocke mehr als drei Monate gedauert. Vielleicht solltest Du Anfang Februar mit dem Training Deiner Lieben beginnen....

Und denk an die Artgerechte Belohnung, ungefähr in der Reihenfolge: Pralinen für die Ehefrau, Einkaufsgutschein für die Tochter und Tankgutschein für den fast Schwiegersohn....

Deine Erzählung ist wirklich gut gelungen.

Hk

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