Heil'ger Abend ...

Literarisches & Kulinarisches von Anglern für Angler

Moderator: Thomas Kalweit

Antworten
Just
Treuer User
Treuer User
Beiträge: 1688
Registriert: 20 Dez 2000 03:01

Heil'ger Abend ...

Beitrag von Just » 25 Dez 2003 01:51

Eine Weihnachtsgeschichte ... © Justus Vogt

Das Licht drang nur spärlich durch die kleinen Fenster, die mit Eisblumen bezogen waren. Der alte Mann sass in der kühlen Küche am Tisch und biss in ein dünn mit Magarine bestrichenes Brot. Zur Feier des Tages hatte er sich eine dicke Scheibe Wurst darauf gelegt, denn es war der 24. Dezember, der Heilige Abend. Er genoss den intensiven Geschmack der Salami und goß sich beim Kauen eine Tasse heissen Tees ein.
Während er vorsichtig davon schlürfte, dachte er "Eigentlich könnte ich heute abend nochmal fischen gehen, vielleicht beisst noch ein Zander ..." Er schaute nachdenklich dem Dampf nach, der aus der Tasse aufstieg. Der Ofen bullerte vor sich hin, aber der alte Mann musste sparen. Er hatte nicht mehr viel Brennholz gelagert und so konnte er nur spärlich nachlegen um das lustig flackernde Feuer gerade so in Gang zu halten, manchmal konnte er sogar seinen eigenen Atem sehen.
"Wenn ich heute einen Zander fangen würde, dann hätte ich ein richtiges Festessen für die nächsten zwei Tage - und ein paar Karoffeln habe ich auch noch da ..."
Je mehr er darüber nachdachte, desto dringender wurde der Wunsch, noch einmal mit der Rute ans Wasser zu gehen. Seine Frau hatte ihn schon vor ein paar Jahren allein gelassen - sie war gestorben, einfach so. Die Kinder wohnten in der fernen Großstadt, mit den vielen funkelnden Lichtern, die die Nacht zu Tag machten. Sie schauten nur selten vorbei, das kleine Haus auf dem Dorf war ihnen wohl zu einsam. "Lass doch die Jugend ..." pflegte er schulterzuckend zu sagen, wenn ihn die Nachbarn darauf ansprachen. Die Besuche in der Stadt hatten ihm nie gefallen, zu hektisch, zu unruhig war diese Welt.
Der Alte hatte seinen Entschluss gefasst, er würde heute noch auf Zander gehen. Er hatte noch zwei kleine Rotaugen im Kühlschrank liegen, die eigentlich für seine Katze gedacht waren. Die sollte an den Festtagen ja auch etwas Besonderes bekommen - "aber wenn ich jetzt einen Zander fange, dann könnte ich ihr ein schönes Stück davon abgeben ..." dachte er, während er sein Angelzeug zusammensuchte. "Ich werde ihr ganz sicher ein schönes Stück abgeben können, denn ganz bestimmt werde ich heute einen schönen Fisch fangen und sie wird sich sicher darüber freuen ...". Er zog seine alte dicke Wetterjacke und die Wollmütze an, schulterte den Rucksack mit seinem Angelzeug, nahm seinen alten Klappstuhl in die Hand und machte sich auf den Weg. Es waren immerhin gut fünfundvierzig Minuten Fussmarsch bis zu seiner Angelstelle am See und er wollte noch im Hellen dort ankommen.
Während seine Arbeitsschuhe durch den Schnee knirschten, kamen ihm die letzten gemeinsamen Weihnachten in den Sinn. Viel Geld hatten sie eigentlich nie gehabt, aber irgendwie hatte es immer für einen Weihnachtsbaum und für Geschenke an die Kinder gereicht. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, eigentlich waren sie eine glückliche Familie gewesen.
Die Baumgruppe kam in Sicht, sein bevorzugter Angelplatz und die Dämmerung zog schon ein, obwohl es erst vier Uhr am Nachmittag war. Niemand war zu sehen, wahrscheinlich saßen alle in der warmen Stube und warteten auf das Christkind, die Kinder mehr, als die Erwachsenen. Er schmunzelte, denn seine eigene kindliche Freude kam ihm in den Sinn, wenn er die leuchtenden Augen seiner Kinder bei der Bescherung sah - eine schönere Bestätigung kann ein Vater und eine Mutter nicht bekommen.
Er war an seinem Lieblingsplatz angekommen und sah sich um. Der abgebrochene Ast, den der letzte Sturm von dem alten großen Baum gerissen hatte, lag noch dort, vom Rauhreif überzogen und auch sein alter Bekannter, der winzige Zaunkönig, wohnte noch in dem undurchdringlichen Wurzelwerk. Nichts hatte sich verändert und zufrieden stellte der alte Mann seinen Stuhl an "seiner" Stelle auf und packte sein Angelzeug aus. Nachdem er den Haken in das tote Rotauge gezogen hatte, warf er die Angel aus und lege sie in der Astgabel ab, die ihm als Rutenhalter diente. Er kurbelte langsam die Schnur ein, bis sie straff zur Wasseroberfläche zeigte, öffnete den Bügel der Rolle und klemmte eine Schnurschlaufe unter den Gummi, den er am Rutengriff befestigt hatte. "So, Zanderchen ...", dachte er, "... jetzt enttäusche mich nicht. Zuhause wartet noch jemand auf einen Festtagsschmaus ..."
Inzwischen war es dunkel geworden, die Sterne funkelten wie Kerzen an einem riesigen Christbaum, sie spiegelten sich im Wasser wider, und der alte Mann liess sich in seinen fast ebenso alten Stuhl sinken.
"Es ist eine schöne Nacht", dachte er, " und wenn jetzt noch ein Zander beisst ..."
Seine Gedanken gingen zurück in seine eigene Kindheit, als er weinend vor dem Weihnachsbaum stand, weil sein Vater ihm eine Ohrfeige verpasst hatte. Er war damals vor lauter kindlicher Begeisterung an den Baum gestossen und das Kerzenwachs tropfte auf den frischgewienerten Holzboden.
"Ich bin richtig glücklich, so ein toller Baum ..." sagte seine Frau auf einmal, und seine Kinder fielen ein "Mensch, Papa, das ist ja ..."
Die Frau, die mit ihrem Hund spazierenging und ihn am nächsten Morgen fand, gab später zu Protokoll, sie hätte in ein vereistes, aber glücklich lächelndes Gesicht geschaut.
Die Rute und der Köderfisch wurde von dem aufnehmenden Beamten unversehrt geborgen.

Bernie
Erfahrener User
Erfahrener User
Beiträge: 536
Registriert: 05 Mär 2003 03:01
Wohnort: 26903 Surwold

Heil'ger Abend ...

Beitrag von Bernie » 07 Jan 2004 03:30

@Justus:

Ich habe deine Geschichte gelesen im alten Jahr.
Hast du schön geschrieben.
Ich wurde nachdenklich/besinnlich nach dem lesen.

Danke.

Bernie

[ 07. Januar 2004: Beitrag editiert von: Bernie ]
bste

Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 12 Gäste